Jens Balzer – After Woke (Matthes & Seitz)
Angesichts mancher Reaktionen auf das von unfassbarer Grausamkeit gekennzeichnete Massaker der islamofaschistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel stellt sich vielerorts die Frage: Ist es an der Zeit, sich von jeder Art von »Wokeness« konsequent zu verabschieden? Oder gilt es nicht vielmehr, wie Jens Balzer mit kenntnisreichem Blick auf die Geschichte dieses umkämpften Begriffs darlegt, sich auf die ursprünglichen Impulse der postkolonialen und queerfeministischen Theorien zu besinnen: auf das kritische Bewusstsein für das grundsätzlich Werdende, Hybride, Mannigfaltige, Ambivalente, das aller Formierung von Identität vorausgeht?
Eindrücklich weist After Woke einen Weg vorbei an erstarrten, essenzialistischen Identitätskonzepten und zeigt: Nur indem Identität allzeit als fiktiv, fragil, fluide begriffen wird, kann sie zu einem dringend benötigten Gegenentwurf werden zu den reaktionären Kräften des identitären Denkens, die sich gerade anschicken, die Herrschaft über die Welt zu übernehmen.
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Weitere Empfehlungen
Hua Hsu – Stay True (aki)
Es ist das Jahr 1995, Hua Hsu ist achtzehn und sucht seinen Platz, seine Leute. »Ich wollte den Eindruck vermitteln, dass ich mich mit meiner Stimme wohl fühlte.« Er ist stolz darauf, gegen den Strom zu schwimmen. Er gibt Zines heraus, durchstöbert die Plattenläden der Bay Area, erstellt Mixtapes, kauft seine Kleider aus zweiter Hand. Als er Ken zum ersten Mal trifft, findet er alles an ihm öde. Ken mag Abercrombie & Fitch, Pearl Jam, ist in einer Studentenverbindung, hat eine »konventionell attraktive« Freundin, geht gerne aus, hat gute Manieren. Alles so fürchterlich Mainstream. Die beiden haben auch ganz unterschiedliche familiäre Hintergründe, obwohl sie beide als Asian-American gelesen werden. Huas Eltern kamen beide fürs Studium aus Taiwan, während Kens japanisch-amerikanische Familie schon seit Generationen in den USA lebt und sich Ken, aus Huas Sicht, längst nahtlos in die amerikanische Kultur eingegliedert hat.
Trotz allem werden Hua und Ken Freunde. Eine Freundschaft, die auf langen Fahrten entlang der kalifornischen Küste und bei nächtlichen Gesprächen auf Raucherbalkonen stetig wächst. »Eine neue Schachtel Zigaretten, noch einmal zwanzig Gespräche.«
Und dann ist Ken plötzlich nicht mehr da, wird unerwartet und sinnlos Opfer eines Verbrechens, nicht einmal drei Jahre nach dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal trafen.
Elif Shafak – Am Himmel die Flüsse (Hanser)
Narin ist neun, als in dem ezidischen Dorf am Tigris Planierraupen auftauchen. Ihre Heimat soll einem Dammbauprojekt der türkischen Regierung weichen. Die Großmutter, fest entschlossen, die Enkelin an einem ungestörten Ort taufen zu lassen, bereitet alles für die Reise ins heilige Lalisch-Tal vor. Kurz vor Aufbruch stößt Narin auf das Grab eines gewissen Arthur – direkt neben dem ihrer Ururgroßmutter Leila. Wer war dieser „König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere“, der Junge aus dem viktorianischen London, von den Ufern der verschmutzten Themse? Und was hat er mit Narins eigener Vertreibung zu tun? Meisterhaft verwebt Elif Shafak Vergangenheit und Gegenwart zu einem soghaften Roman über sich kreuzende menschliche Schicksale und die Macht jahrhundertealter Konflikte.
M. Penzel & A. Waibel – Jörg Fauser: Rebell im Cola-Hinterland (Diogenes)
Wer war Jörg Fauser? Was hat ihn geprägt, gefuchst, wovon hat er geträumt und worüber geflucht? Matthias Penzel und Ambros Waibel gehen dem Rebellen und Junkie, dem Sohn und Menschen Jörg Fauser auf den Grund statt auf den Leim.
André Boße – Voyage Voyage (Reclam)
Frankreich und seine Popmusik – bon voyage!
Wir essen, trinken, rauchen französisch. Wir bereisen das Land, für das wir sogar einen Spitznamen erfunden haben, den in Frankreich selbst niemand nutzt: den der ›Grande Nation‹. Aber die Popmusik Frankreichs kennen viele nur am Rande. André Boße hat eine große Entdeckungsreise durch Frankreich und die französische Popmusik unternommen und zahlreiche Musikerinnen und Musiker zu Gesprächen getroffen – sein Buch lädt dazu ein, das Land ganz neu kennenzulernen.
Von den Hits der Yéyé-Jahre über French Pop und Nouvelle Chanson bis hin zu Rock, Electro, Hip-Hop, und Raï. Mit Jane Birkin, Jacques Dutronc, Mylène Farmer, Serge Gainsbourg, Françoise Hardy, MC Solaar, Vanessa Paradis, Zaz und vielen mehr.
Fleur Jaeggy – Ich bin der Bruder von XX (Suhrkamp)
Eine mondäne junge Frau wird von ihrem Mann in einem Käfig gehalten; eine Seherin schmeckt im 13. Jahrhundert die Vorhaut Christi auf ihrer Zunge; ein Waisenkind verbrennt den Aristokraten, der es aufgenommen hat, bei lebendigem Leibe; gequälte Geschwister werden in ein Schweizer Eliteinternat abgeschoben.
Fleur Jaeggy erzählt von Wahnsinn, Verlust und Mord, vom Fluch, eine Familie zu haben, und von der durch nichts zu vertreibenden Nähe des Todes. Dabei erschafft sie surreale Bilder, die sich in die Seele rammen, Geschichten von kristalliner Schönheit, die von einem bösartigen Zauber beseelt scheinen, champagnerfarbene Welten, die vor stiller Gewalt brodeln.
Fleur Jaeggy ist eine Poetin der Verzweiflung und eine Virtuosin des Schauers: Ihre jenseitigen Geschichten zu lesen, das ist, als würde man sich nackt und kopfüber in ein Gestrüpp aus schwarzen Rosensträuchern stürzen – am Ende kommt man blutüberströmt und geläutert wieder heraus.
Stefan Wimmer – Lost in Translatione (blond verlag)
The »Kajal-Clique« is back – diesmal auf dem Weg nach Italien!
Alle sind wieder mit von der Partie – Roderick, Meindorff, Deibel, Wimmer, auch Lochlippe – und nun gerät das Boot endgültig ins Schaukeln!
Eine saukomische Hymne auf die Achtziger und die Italo-Disco-Ära. Noch nie ist ein Urlaub so lustig erzählt worden.
Mit den Smash-Hits »Könige des Lare-Fare«, »Giacomo fällt in denAbwasserkanal« und »Tedesco bello lebe hoch« !!
Lasst die Spiele beginnen!
Benedict Wells – Die Geschichten in uns (Diogenes)
Wie entwickelt man lebensechte Figuren und erzeugt Spannung? Warum ist Schreiben die schönste Sache der Welt und zugleich oft zum Verzweifeln? Wie geht man mit Krisen um? Angeregt durch Fragen auf Lesungen, entstand dieses sehr persönliche Buch über das Erzählen. Offen und humorvoll berichtet Benedict Wells, wie er zu seinen Romanen gekommen ist, von seiner Kindheit und Jugend in verschiedenen Heimen bis zu seinen Jahren in Berlin und den ersten Veröffentlichungen. Er gibt konkrete Tipps und einen tiefen Einblick in sein eigenes Schaffen wie auch in das Werk anderer Autorinnen und Autoren. Ein berührendes und lebenskluges Buch – und eine Antwort auf die Frage: Wieso schreibt man, und was suchen und finden wir in Literatur?
Rainald Goetz – wrong (edition suhrkamp)
WRONG ist ein Band mit kleineren interventionistischen Texten, die in den letzten fünfzehn Jahren, der Zeit der Arbeit am Buch SCHLUCHT, entstanden sind.
WRONG: Auftritt, Vortrag, Lehre, Interview, Kritik: alles falsch, alles immer wieder: wrong. Und doch ist es wichtig, daß man sich als Autor auch direkt, mit solchen Textaktionen, am öffentlichen Gespräch beteiligt, lebendig, wirr, flirrend, das Ich ungeschützt präsentiert, nicht nur in die finale Totengestalt des Werks hineinkonzentriert.
So schreiben, wie man reden würde, wenn man dem Gegenüber schnell erklären will, was man zu Joachim Bessing denkt, zu Michel Houellebecq, zu Albert von Schirnding oder zum Rechtsstreit des Suhrkamp Verlags mit dem Investor Barlach. In den Interviews geht es um die eigenen Bücher, den Fotoband elfter september 2010, den Roman Johann Holtrop oder das Theaterstück Reich des Todes. In zwei Reden und zwei Aufsätzen – der Antrittsvorlesung »Leben und Schreiben«, der Rede »Büchnerpreis«, der Produktionspoetik »Spekulativer Realismus« und der Rezeptionspoetik »Absoluter Idealismus« – hat Rainald Goetz seine Autorschaft grundlegend zu bestimmen versucht, aber vom Gestus her auch hier inspiriert von der Direktheit der mitmenschlichen Begegnung und dem Darlegungsfuror in mündlicher Rede. Dadurch ist WRONG ein helles Buch geworden.
Hannah Arendt – Über Palästina (Piper)
Über Palästina vereint zwei neu entdeckte, bisher unbekannte Texte von und mit Hannah Arendt. Der Aufsatz „American Foreign Policy and Palestine“ wurde 1944 von Arendt vor der Staatsgründung Israels verfasst und erst jetzt in einem Archiv gefunden. 14 Jahre später ist sie Mitglied eines Expert:innen-Rats, der in dem Bericht „The Palestine Refugee Problem“ eine Lösung für die Situation der Geflüchteten im Nahen Osten formulierte. Diese beiden außergewöhnlichen Fundstücke belegen eindrücklich Arendts lebenslanges Ringen um einen Frieden in Israel und Palästina.
Herausgegeben von Thomas Meyer